Sting bei Movimentos im Kraftwerk Wolfsburg...
Kleine Runde mit Superstar: Sting und das Bundesjugendorchester spielen beim
Festival Movimentos im Kraftwerk Wolfsburg. 'Ick bin sehr glucklick, hier zu
sein', sagt Sting.
Wohin nur mit den Händen? Für viele singende Rockmusiker ist das eigentlich kein
Problem. Entweder bedienen die Hände eine Gitarre (Singersongwriter), umklammern
hingebungsvoll das Mikrofon (Altrocker), stecken lässig in Hosentaschen (Mittelaltrocker)
oder fuchteln in der Gegend herum (Rapper und Joe Cocker). Sting weiß nicht so
recht. Jedenfalls an diesem Abend.
Er steht nicht wie auf seiner letzten großen Tournee am Bass seiner
wiederbelebten Band Police. Sondern zwischen einem Orchester, dem
Bundesjugendorchester, und einem Saal mit 1000 Menschen. Intime Runde. So intim,
wie man Sting, einen der einflussreichsten Musiker der Popgeschichte, sonst
nicht zu hören bekommt. Movimentos macht es möglich. Sting ist der große Name
im achten Jahr des vom Tanz- zum Gesamtkulturevent upgegradeten Festivals in der
Autostadt Wolfsburg. Für zwei Konzerte haben die Kuratoren ihn gewinnen können.
Und nun steht der Herr Weltstar da hinter einem kleinen Podest und einem Glas
Wasser und weiß nicht so recht, wohin mit seinen Händen. Meistens lässt er sie
wie ein Liedsänger einfach neben dem Körper baumeln, manchmal legt er eine Hand
aufs Herz, zeigt irgendwo hin oder klatscht ein bisschen mit. Manchmal kommt
doch der Popstar durch, dann legt er die Finger hinter die Ohren oder animiert
mit ausgebreiteten Armen das Publikum zum Mitmachen.
Das wiederum ist kein Problem. Schließlich hat er mit dem Orchester weder seine
jüngst veröffentlichten Winterlieder einstudiert noch seine Lautenlieder,
sondern seine lauten Lieder, PoliceLieder und Sting-Lieder, die allerdings in
neuen, oft leisen, aber immer raffinierten Arrangements. Das Programm war vorher
nicht verraten worden. Und wenn Sting 1000 glückliche Fans (beide Konzerte waren
innerhalb von gut zwei Stunden ausverkauft) mit einem Best-of-Abend überrascht
und das Kraftwerk zur Hitfabrik macht, kann man sich vorstellen, was im Saal los
ist: Er hat sie alle von Beginn an im Sack. 'If I Ever Lose My Faith In You'
macht den Anfang, beim 'Englishman in New York' ist die Stimmung schon ziemlich
familiär. So, als ob Sting Gaststar auf einer netten Geburtstagsparty ist, auf
der sich nicht nur die Gäste wohlfühlen. 'Ick bin sehr glucklick, hier zu sein',
sagt er. Na, dann.
Das Bundesjugendorchester unter der Leitung von Steven Mercurio ist dabei mehr
als ein Geigenteppich. Es ist seine Band. Sting hat zwar auch einige 'seiner'
Leute dabei, unter anderem Gitarrist Dominic Miller, aber die Akzente setzen die
jungen Klassiker. 'Roxanne' verwandeln sie in eine melancholische Ballade mit
düsterem Unterton, es ist wie ein Soundtrack zu Stings Geschichte über die
Prostituierte Roxanne. Für ein paar Töne kommt sogar Stargeiger und Sting-Freund
Daniel Hope auf die Bühne. Hopes spontane Idee. Er hatte angefragt. Und Sting
fand's gut.
Ohnehin ist bemerkenswert, wie das Orchester nach kurzer Probenzeit (drei Wochen
allein, einen Tag mit Sting) und viel Herzklopfen vor dem Auftritt mit den
Popmusikern harmoniert. Und immer das Maß findet. Zurückhaltend, wie es die
Intimität von 'Shape Of My Heart' gebietet. Aber viel lieber arrangiert Dirigent
Mercurio ein paar Ecken und Kanten in altbekannte Hits. Gerade in den
Rockstücken wie 'Next To You' oder 'She's Too Good For Me' verschleppt oder
verwässert der Klangkörper nicht wie oft bei Pop-Klassik-Melangen den Groove
der Band, es schiebt ihn geradezu voran. Mercurio geht es ohren- und augenfällig
genau darum. Er hüpft unablässig wie ein Kastenteufel auf seinem Podest auf und
ab (ist ja auch ein Tanzfestival) und scheint jeden Einzelnen in der Tempospur
halten zu wollen. Da freut sich sogar der Star: 'Ich hab' mich immer gefragt, ob
Orchester Rock 'n' Roll spielen können', sagt er irgendwann, 'bis ich das hier
hörte.' Ein Lob vom Chef, das tut gut. Aber zu diesem Zeitpunkt hat sich das
Bundesjugendorchester längst die Nervosität aus den Kleidern gegeigt, geblasen
und getrommelt. 'Irgendwann spielt man nur noch', sagt der 19-jährige Hornist
Jared hinterher.
Bis dahin darf er noch ein paar Sting-Hits mit Sting spielen. 'Fields of Gold',
eine hinreißende Minimusicalfassung von 'Moon over Bourbon Street', die Police-Klassiker
'Every Breath You Take', 'Wrapped around your Finger' und 'King of Pain'. Im
Herbst wird Sting diese Songs zusammen mit dem Royal Philharmonic Concert
Orchestra auf einer großen Tournee spielen, die auch nach Deutschland führen
wird. Aber das exklusive Wolfsburg-Gastspiel wird etwas ganz Besonderes bleiben.
Am Ende zweier schöner Stunden wollen die Fans keine Ruhe geben. Sting kommt
noch einmal im weißen T-Shirt raus. Er singt ohne jegliche Begleitung 'I Was
Brought To My Senses'. Und fasst damit den Abend ziemlich gut zusammen.
(c) Hannoversche Allgemeine by Uwe Janssen