Sting rockt immer - auch mit klassischem Orchester...
Dieser Mann weiß, wie es geht. Er kommt lässig auf die Bühne geschlendert, grüßt
Steven Mercurio, den Dirigenten des Royal Philharmonic Concert Orchestra, mit
Handschlag und wendet sich seinem Mikrofon zu. ''If I Ever Lose My Faith In
You'', spätestens mit der markanten Titelzeile im Refrain, beginnt Sting die
Mauern der Verunsicherung einzureißen, die
6,000 Fans in der gut gefüllten O2-World umgeben, und als er dann wie ein alter
Folksänger seine Mundharmonika zückt, fallen die nächsten Barrieren. Sting,
Popmusiker mit Punkwurzeln zusammen mit einem klassischen Orchester, kann das
gut gehen, war die bange Frage. Pop mit Popanz oder mit Perspektive? Mit jedem
Takt wird die Antwort deutlicher.
Die Antwort rockt, und das liegt sowohl an der Klasse der Klassiker wie auch an
der Bodenständigkeit des Sängers: Locker nimmt das Orchester die Groovehürde, an
der schon so viele Träume von philharmonisch aufgemotztem Rock zerschellt sind.
Sting selbst verleiht den Songs mit seinem Gesang den vordergründigen Glanz, den
Hits brauchen, um zu funktionieren. Unangestrengt windet er sich in die Höhen,
wo das Timbre seiner Stimme noch heute an die charakteristische Heiserkeit aus
der Zeit von The Police erinnert. Dann lässt er sie hinunterpurzeln in eine um
eine Oktave nach unten versetzte und schon fast ins Balladeske abgebremste
Version von ''Roxanne'', wo seine Stimme vor dem ziselierten Spiel des
Orchesters reif, individuell und kraftvoll wirkt.
Der Applaus ist wärmer als freundlich, und Sting - freut sich. Sein Konzept; die
Stücke in ein neues Soundkleid zu stecken, geht auf. Ihn selbst regt das an,
reißt die vertrauten Songs aus der Routine und fordert zu neuer Intensität
heraus. Eine Frischekur. Gut zweieinhalb Stunden nimmt sich Sting für seine
neuen Versionen. Mit der zweiten Zugabe, einer in arabeske Klänge gehüllten,
nonverbalen Huldigung an die Segnungen kultureller Vermischungen kommentiert er
untergründig die deutsche Debattenlandschaft. Multikulti gescheitert? Welch ein
Unsinn. Ein großer Abend.
© Die Welt by Stefan Hentz